CHAU TRAN, geboren 1949 im Süden von Vietnam als Sohn südchinesischer Eltern aus der Provinz Kanton, China.
Chinesischer Name Chen Ying Yi 陳英義, Künstlername QING LIAN 青濂.

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© CHAU TRAN (QING LIAN)



Wunder Erscheinung




. . . . . . . . . . . Das Wasser drängt schneller und noch schneller in das Boot herein. Die Männer sind total erschöpft, aber sie versuchen mit ihrer letzten Kraft und allen Möglichkeiten das Wasser aus dem Boot heraus ins Meer zurückzuschöpfen. Plötzlich entdecken sie noch zwei Risse nah am Boden des Bootes. Dort dringt ebenso Wasser ins Boot herein. Auch die alten Männer helfen nun mit, und obwohl es in der Kabine sehr eng ist, versuchen sie es trotzdem. Das Wasser steigt im Boot höher und höher bis fast zu den Knien der Frauen, die auf dem Boden der Kabine hocken. Sie halten ihre Kinder hoch. Sie schreien und weinen und die Lage wird immer dramatischer und chaotischer. Einige versuchen auf das Dach des Bootes zu klettern, obwohl wir mitten auf dem Ozean sind und in der großen Hitze das Blechdach so heiss ist, dass man barfuß den Fuß nicht aufsetzen kann. Ich muss laut sagen: "Keine Panik, sonst kippt das Boot um." Unten aus der Kabine ruft mich der Maschinentechniker: "Captain Chau . . ." (in Vietnam spricht man mit Vornamen an) ". . . es ist zu Ende". Ich steige aus der Steuerkabine heraus und setze mich draußen an die Scheibe der Kabine und überlege, was ich noch tun kann. Ich kann nichts mehr tun. Das Schiff wird untergehen . . . . . . . . . . .

Im Moment bekomme ich den Gedanken, dass wenn es ein schnelles Ende gibt, es eine Erlösung wäre. Auf dem Festland von Malaysia wurden wir in ein kaputtes Boot abgeschoben. Ohne Lebensmittel und Wasser wurden wir von einem malaysischen Marineschiff auf das offene Meer gezogen und alleine gelassen. Ich war ursprünglich Steuermann und wurde von den malaysischen Behörden als Ersatz-Captain benannt, denn der Captain hatte sich in Malaysia abgesetzt - Der Captain, der Maschinentechniker und ich waren früher in der Marine von Südvietnam im Dienst. Ich war kein Steuermann, sondern Verwaltungssekretär und habe im Verlag des Marinehauptquartiers und als Sekretär des Captains auf zwei Schiffen gearbeitet. Jeder Arbeiter des Schiffes musste in der Lage sein, es zu steuern, aber nun in so einer Lage kann niemand mehr das Schiff lenken.

In dieser glühenden Hitze mitten im offenen Ozean sehe ich plötzlich am Horizont vor mir, wie sich ein kleiner dunkler Wolkenfleck langsam verbreitert. Es entsteht ein Drachenwirbel (asiatisch für Tornado). Ich entscheide schnell, dass ich die Leute nicht darüber informiere, um eine Panik zu vermeiden, und warte auf den Tod. Im Moment vor dem Tod habe ich keine Angst mehr, vor dem Tod ist man seltsamerweise mutiger. Ein Mädchen, das schon vorher auf das Dach geklettert war, bewegt sich langsam zu mir und setzt sich neben mich. Ich frage sie (auf chinesisch): "Kennst Du das Lied '青春舞曲 (Qing Chun Wu Qu) / Tanzlied der Jugend'?" Das Lied habe ich schon als Kind in der Grundschule gelernt. Sie antwortet: "Ja." Ich fange den ersten Vers an zu singen: "Die Sonne geht hinter dem Berg unter und morgen steigt sie wieder auf." Das Mädchen steigt im zweiten Vers ein und wir singen zusammen weiter. Das ist eigentlich ein fröhliches Lied, aber wir singen sehr langsam und leise, denn wir beide sind schon sehr erschöpft. Wir beide haben die Köpfe an die Glasscheibe gelehnt und schauen in den Himmel. Ich drehe den Kopf langsam erschöpft nach links und plötzlich sehe ich am Horizont einen schwarzen Punkt. Während wir weitersingen verfolge ich ihn intensiv. Der Punkt wird immer größer und größer, bis ich plötzlich erkenne und ganz laut schreie: "Ein Schiff, ein Schiff . . . . . . . ."

- im Jahr 2015 - Chau Tran (Qing Lian)



(Siehe auch Dokumentation/1993/Foto-Archiv/Einzelausstellung im Stadtmuseum Düsseldorf)



© CHAU TRAN (QING LIAN)

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